NOIR DESIR
französische Rockband

NOIR DESIR ist zugleich eine der bekanntesten und am wenigsten vermarkteten Rockbands Frankreichs. Mit mehreren hunderttausend verkauften Alben gelten sie neben der 80er Jahre-Formation "Téléphone", dem Rapper "MC Solaar" und "Mano Negra" als wichtigster Vertreter des modernen französischen Rock.

Sänger Bertrand Cantat und Gitarrist Serge Teyssot-Gay lernten sich auf dem Gymnasium in Bordeaux kennen. Gemeinsam mit Denis Barthe (dr) und Frédéric Vidalenc (b) gründeten sie eine Band. Spielen konnte eigentlich keiner der vier Jungs irgendein Instrument, nur Serge Teyssot-Gay hatte mehrere Jahre Gitarrenunterricht genossen. Zwischen 1981 und 1984 traten sie in Kneipen auf, mehr schlecht als recht, was die musikalische Seite ihres Könnens anging. Der sehr belesene Bertrand Cantat allerdings schuf prägnante ausdrucksvolle Texte und gab mit seiner kräftigen charismatischen Stimme der Musik des Quartetts etwas Fesselndes. Es fehlte noch ein Name und über Kreationen wie "4 Psychoz", "6.35", dann "Station Désir" und "Noirs Désirs" kam man schließlich zu NOIR DESIR.
1987 produzierte der Amerikaner Theo Hakola (Sänger der Band "Passion Fodder") die erste EP der Band, die schon das spätere Konzept in sich trug: "Ou veux-tu qu'je'regarde" zeichnete sich durch britisch anmutende Klänge aber französische Poesie aus, vorgetragen von Frontman Cantats ausdrucksstarkem Organ. NOIR DESIR überraschten die französische Rockgemeinde mit energischen Arrangements, mit melancholischem aber auch zornigem Rock und einer mitreißenden Energie. Das vom Plattenlabel Barclay vertriebene Debüt-Album verkaufte sich über 5000mal und Barclay verlängerte den abgeschlossenen Vertrag für zunächst 3 Alben.
1989 erschien "Veuillez rendre l'âme (à qui elle appartient)", produziert von Ian Broudie. Die daraus ausgekoppelte Single "Aux sombres héros de l'amer" schaffte es in die Top 50 und mit mehr als 100.000 verkauften Exemplaren wurde das Album vergoldet. Zum Ärger Barclays verweigerten die dem Business gegenüber mißtrauischen Jungs aus Bordeaux allerdings Promotion-Auftritte in Rundfunk und Fernsehen und behielten sich vor, Interviews nur gemeinsam zu führen. Eine Tournee durch Frankreich, Osteuropa und Kanada folgte, in Paris spielten sie im ausverkauften Musiktempel "Olympia".
Nach dem Tourstreß gingen NOIR DESIR wieder ins Studio und nahmen neues Material auf. Im Februar 1991 erschien "Du ciment sous les plaines", von den 14 Titeln waren vier in englischer Sprache. Das Programm festigte sich: harter Rock gepaart mit kurzen, harten pessimistischen Textpassagen. Ausgekoppelt wurde der programmatische Song "En route pour la joie". Die Band gönnte sich wieder einige Monate Ruhe. Im Dezember 1992 erschien dann das Album "Tostaky" (eine Zusammenziehung der Sentenz "Todo esta aqui"), in England aufgenommen und produziert von Ted Niceley, dessen Arbeit auch schon Fugazi und Tracy Bonham in Anspruch nahmen. Der satte Sound wurde wieder effektvoll ergänzt durch Cantats kritisch-radikale Texte, die von Faschismus, Rassismus und Korruption handeln. Fehlen durfte da natürlich nicht die Kritik an Jean-Marie Le Pens "Front National". Die anschließende Europatournee war ausverkauft, die Bewunderung für die Gruppe, die sich nicht vom Musikbusiness vereinnahmen zu lassen schien, enorm.
Am 3. und 4. Februar 1993 fesselten Cantat und seine Mannen die Zuschauer erneut im ausverkauften Pariser Musikpalast "Olympia". Von vor Energie berstendem Rocksound über melancholische Besinnlichkeit, von filigranen fast zärtlichen Gebilden bis schonungsloser Direktheit der Texte reicht die Palette der Band. Saxophon, Klarinette und außereuropäische Instrumentenklangfarben vorzugsweise aus dem arabischen Raum ergänzen den Sound. Gepaart mit Cantats mächtiger Stimme erziehlen NOIR DESIR so bei ihren Live-Acts eine ungeheure Bühnenwirkung.
Ergebnisse der anschließenden Tour waren ein Video und eine Live-Doppel-CD "Dies Irae (jour de colère)" im Januar 1994. Ebenfalls 1994 erschien die Triple CD-Album-Compilation "En route pour la joie".
Die Bandmitglieder gingen in den folgenden Monaten eigenen Plänen nach. Gitarrist Serge Teyssot-Gay nahm ein Solo-Album auf: "Silence radio" (1996), Bassist Frédéric Vidalenc verließt die Band ganz.
Im November 1996 erschien schließlich ein neues Album, "666.667 Club". Mit ihm gab der neue Bassist Jean Paul Roy, ein langjähriger Freund der Band, seinen Einstand sowie der ungarische Saxophonist Akosh Szelevényi, genannt Akosh S., der zum festen Bestandsteil von NOIR DESIR wurde.
Im Februar 1997 spielten NOIR DESIR an zwei aufeinanderfolgenden Abenden im ausverkauften "Zénith" in Paris, danach ging es auf eine höchst erfolgreiche Tournee durch Frankreich. NOIR DESIR arbeiteten mit lokalen Gruppen gegen die extreme Rechte in Frankreich zusammen. So luden sie beispielsweise in Toulon die Rap-Gruppe "Assassin", die auf Weigerung der städtischen Verantwortlichen bisher nicht in Toulon auftreten durfte, zu ihrem Konzert ein. Ebenfalls organisierte die Band in ihrer Heimatstadt im Juni 1997 einen "Jour à Bordeaux", der mehr als 30.000 junge Leute anzog. In einem stillgelegten Bahnhof spielten verschiedene Musikformationen der Region und trafen sich mehr als 60 humanitäre Organisationen gegen Rechts und Rassismus.
Am 20. Februar 1998 erhielten NOIR DESIR gleich zwei "Victoires de la Musique", einen als beste Gruppe des Jahres und einen für den besten Song "L'homme pressé" aus dem Album "666.667 Club". Solchen Veranstaltungen jedoch abgeneigt, zog die Band es vor, bei der Preisverleihung nicht zu erscheinen.
1998 veröffentlichten NOIR DESIR das Album "One Trip, One Noise". Es enthält gelungene Remixes von den Soundtüftlern Franz Treichler, Al Comet und Gus Gus. Die Originaltracks stammen von den Platten "Veuillez rendre l´ame", "Tostaky" und "666667 Club".
Das politisch-gesellschaftliche Engagement der Gruppe und einzelner Mitglieder manifestierte sich immer wieder. So fuhren Bertrand Cantat und Serge Teyssot-Gay zusammen mit Akosh S. im Juni 1998 nach Marseille, um lokale Bands und Verbände zu treffen. Im April 1999 nahm Bertrand Cantat eine Einladung von Schülern und Schülerinnen ins "l'Institut d'Etudes Politiques de Bordeaux" an.
Am 7. April 1999 nahmen NOIR DESIR neben anderen Gruppen an einem Konzert zugunsten der GISTI ("Groupe d'Information et de soutien aux Immigrés"),
die sich für die Rechte der Ausländer und Einwanderer einsetzt, teil. Auf dem Benefiz-Album "Liberté de circulation - Album de soutien au GISTI" (1999) spielen sie zusammen mit Akosh S. den John Lennon-Titel "Working Class Hero".
2001 sind Bertrand Cantat und Akosh S. auf dem Benefiz-Sampler "Tibet libre" vertreten. Auch waren und sind NOIR DESIR immer gerne bereit, einen Beitrag zu Samplern der aktuellen französischen Rockmusik (so auf "Enragez-vous" - Compilation de Rock français", 1994) zu leisten und auf Alben befreundeter Künstler und Künstlerinnen mitzuwirken. So 1998 mit "Ces gens-là" auf dem Album "Au suivant", einer Hommage an Jacques Brel. Auch bei den Têtes Raides ("Gratte Poil", 2001), Denez Prigent ("Irvi", 2000), Alain Bashung ("Climax", 2000), Yann Tiersen ("Black Session", 19999), Brigitte Fontaine ("Kekeland", 2001)und "Les oiseaux de passage – Album hommage à Georges Brassens" 2001) sind sie dabei. Von Gitarrist Serge Teyssot-Gay erschien 2000 schon das zweite Solo-Album: "On croit qu'on en est sorti" (2000) mit Texten von Georges Hyvernaud, einem französischen Literaten, der 1949 ein Buch über seine Erfahrungen während 6 Jahren deutscher Kriegsgefangenschaft veröffentlichte. Am 30. April 2001 spielten NOIR DESIR auf einem Konzert in Paris, das von der "Confédération National du Travail" organisiert wurde.
Im August 2001 kam die vielbeachtete Single "Le vent nous portera" aus dem neuen Albums heraus. Produziert wurde es von Nick Sansano, der bereits mit Sonic Youth, Public Enemy und den Red Hot Chili Peppers arbeitete. Mit von der Partie waren Manu Chao (Gitarre auf "Le vent nous portera") und Brigitte Fontaine, die auf dem 23-Minüter "Europe" ihre eindringlichen Vokalparts skandiert.
Die Tour 2001 führte NOIR DESIR durch Frankreich und Ungarn. Im September spielten sie in Toulouse und am 10 Dezember wirkten sie erneut bei einem Benefiz-Konzert zugunsten der GISTI in Trappes bei Paris mit.
Anfang 2002 hatte sich das Album "Des visages, des figures", das übrigens zufällig am 11. September 2001 veröffentlicht wurde, mehr als 900.000 mal verkauft und NOIR DESIR wurden mit fünf "Victoires de la musique" nominiert. Bei der 17. Preisverleihung dieser Trophäen am 9. März 2002 im Pariser "Zénith" erschien die Band, um ihre beiden Auszeichnungen für das beste Rock-Album und den besten Video-Clip des Jahres ("Le vent nous portera") abzuholen, aber auch ihren Firmenchef von Barclay/Vivendi Universal, Jean-Marie Messier, zu kritisieren. Bertrand Cantat verlas während der Veranstaltung, die Live von France 2 übertragen wurde, einen Protestbrief. "Er ist der Genosse Chef von fast allen von uns, doch wenn wir auch in derselben Galeere sitzen, so sind wir nicht von einer Welt" , so Cantats kritische Essenz über die Bigotterie des internationalen Musikgeschäftes, über das Profitdenken der Majorlabels, das Absahnen und das Abzocken der Künstler.
Die Plattenfirma Barclay hatte sich lange über den Namen der Band und ihre Sperrigkeit mokiert. So weigerte sich die Band beispielsweise zu Hauptsendezeiten im Fernsehen aufzutreten. Ihre Videoclips spotten allen anerkannten Regeln der Kunst, und für das Cover von "Tostaky" ließen sie sich sogar von hinten ablichten., Doch NOIR DESIR behauptete sich immer wieder und bis heute erfolgreich gegen den Druck des Labels. Die Konzerte von NOIR DESIR sind ausnahmslos ausverkauft. Mehr als 10 Jahre hatte das Quartett aus Bordeaux den Status eines Geheimtipps. Und es ist erstaunlich, daß NOIR DESIR ein derartiger Erfolg trotz kategorischer Nichtbeachtung der meisten essentiellen Marketingregeln gelungen ist. Darüberhinaus eröffnete NOIR DESIRs Engagement für gesellschaftliche Minderheiten, Flüchtlinge, Asylbewerber, Randgruppen und gegen rechte Strömungen vielen regionalen humanitären Gruppen auch nationale Beachtung.


Diskografie:

Alben:
"Ou veux-tu, qu’je r’garde" (EP) (1987), Barclay
"Veuillez rendre
l'âme (à qui elle appartient)" (1989), Barclay
"Du ciment sous les plaines" (1990), Barclay
"Tostaky" (1992), Baclay
"Dies irae", 2 CDs (1994), Barclay
"En route pour la joie", 3 CDs (1994), Barclay
"666667 Club" (1996), Barclay
"One Trip, One Noise", Remixes (1998), Barclay
"En route pour la joie" (2000), Barclay
"Des visages des figures" (2001), Barclay

BestOf/Hitlist:

"Toujours être ailleurs" (1987)
"Les ecorchés" (1989)
"Aux sombres héros de l’amer" (1989)
"En route pour la joie" (1991)
"Tostaky" (1992)
"Lolita nie en block" (1992)
"Ici Paris" (1992)
"Marlène" (1992)
"A ton étoile" (1996)
"L’homme pressé" (1996)
"Un jour en France" (1996)
"Septembre en attendant" (1996)
"Le vent nous portera" (2001)

Soloprojekte:

Frédéric Vidalenc:
"La latitude des chevaux" (2002),
Les messieurs prod

Serge Teyssot-Gay:
"Silence radio" (1996), Barclay
"On croit qu'on en est sorti" (2000), Barclay

Edgard de l’est (d. i. Denis Barthe):
"La berlue"(1995), Pias
"Ces jours-ci" (1999), Corrida

Bertrand Cantat:
16 Horsepower : "Low estate" (1998), Glitterhouse
mit den Titeln: "The Partisan" und "Fire Spirit"

Literatur:
Moisan, Hervé: "Noir(s) Désir(s), Editions Verticales (1999)
Laufer, Vincent: Noir Désir de A à Z,
Collection Music Book (2002)

Internet:
http://destination.noir-desir.com/

(Pia Ambrosch)