CHUMBAWAMBA
britische Anarcho-Rockband Die Mitglieder von CHUMBAWAMBA
kannten sich aus der Punk-Szene in Leeds. Teilweise waren
sie sogar selbst in der Band- und Clubszene aktiv. So der
frühere MEN IN A SUITCASE-Frontman Duncan Bruce, OW MY
HAIR`S ON FIRE-Drummerin Alice Nutter und die PASSION
KILLERS Harry Hamer und Mavis Dillon. Lou Watts war als
Computertechnikerin tätig. Den Antrieb, eine eigene Band
zu gründen, sahen die Bandmitglieder in dem zunehmend
egoistische Zug und der Gleichgültigkeit gegenüber
gesellschaftlichen Entwicklungen, an der die spätere
Punkbewegung im Laufe der Jahre krankte.
Das Lineup der Gruppe stand bald fest: Lou(ise Mary)
Watts (voc, keyb), (Frank) Boff (g, voc), Alice Nutter
(voc, perc), Mavis Dillon (tp), Alan Whalley (g, voc) und
Billy McCoid (dr). Ihr Konzept schien eine seltene Mixtur
aus politischem Engagement, Errungenschaften der
Popkultur und Lärm zu sein, gewürzt mit einem
schalkhaften Humor. So gründeten CHUMBAWAMBA 1982 zum
Schein die Skinhead-Band "Skin Disease" und
schickten ein Demo an Gerry Bushell, der gerade mit
"Oi" groß rauskam. Bushell veröffentlichte
das Stück von CHUMBAWAMBA mit dem Titel "I?m
Thick". Der ganze Text bestand aus der 64mal
wiederholten Zeile "I?m Thick". Mit ihrer
eigenen Art von Humor und ihren Statements zu
politisch-gesellschaftlichen Begebenheiten wurden
CHUMBAWAMBA den britischen Konservativen schnell ein Dorn
im Auge. So gaben sie eine Reihe von Benefiz-Konzerten
für Anti-Thatcher-Aktionen. Aber auch Musikerkollegen
bekamen die unverholene Abneigung der Band zu spüren. So
bewarfen CHUMBAWAMBA bei dem Reunion-Konzert 1985 THE
CLASH mit Farbbeuteln und beschimpfte sie als
Pseudo-Rebellen.
Die Band lebt bis heute gemeinsam in einer Kommune im
Industrieviertel von Leeds, ebenfalls ein ungewöhnliches
Projekt und Polizei-Razzien waren früher an der
Tagesordnung.
1985 gründeten CHUMBAWAMBA ihr eigenes Label
"Agit-Prop" und veröffentlichten im September
des gleichen Jahres ihre erste Single
"Revolution". BBC-Moderator John Peel spielte
sie einige Male in seiner Sendung und wenig später stieg
die Single hoch in die Indie-Charts ein. 1986 war das
Jahr des "Live-Aid Concerts", und auf dem
Höhepunkt des damit ausgelösten Booms veröffentlichten
CHUMBAWAMBA ihr erstes Album. Es trägt den provokanten
Titel "Pictures Of Starving Children Sell
Records", ein Sarkasmus, der ihnen übel genommen
wurde und ihnen die unrühmliche Bezeichnung
"herzlose Bastarde" einbrachte und
selbstverständlich Airplay-Boykott.
Im Juli 1987 erschien bereits das zweite Album
"Never Mind The Ballots! ...Here's the Rest of Your
Life"" Diese Reminiszenz auf das erste
SEX-PISTOLS-Album ("Never Mind The Bollocks - Here's
The Sex Pistols") läßt sich mit "Kümmert
euch nicht um die Wahlen!" übersetzen. Dies war im
Wahljahr 1987 eine eindeutige Aufforderung zum Boykott
derselben. CHUMBAWAMBA schalteten sich einmal mehr in die
Tagespolitik ein und machten auf ihre eigene Weise klar,
daß eine Wahl zwischen zwei Übeln keine Wahl sein
könne.
Die Band arbeitete weiterhin gerne unter anderen Namen.
Damit ließ sich großartig Spaß haben und praktische
Zwecke verfolgen. Während der 87er Wahlkampagne schaffte
es die Band unter dem Namen "The Middle" von
den Liberalen Demokraten engagiert zu werden. Als
während einer Wahlparty ihre wahre Identität ans
Tageslicht kam, war der gewünschte Skandal da.
Ende 1988 erschien das Album "English Rebel
Songs", eine reines A-cappella-Folkalbum. Diese Art
Musik war so in etwa das letzte, was die Anhängerschaft
aus dem Punk-Lager von CHUMBAWAMBA erwartet hatte.
Andererseits zeigte die Band damit deutlich, daß sie
keineswegs gewillt waren, sich in Schablonen pressen zu
lassen. Diese Eigenschaft ist bis heute
charakteristisches Markenzeichen der Band.
Im Sommer 1990 erschien das Album "Slap!" Ein
Album voller Dance Beats und Popsongs aber mit
politischen Inhalten. Mit diesem Album begannen
CHUMBAWAMBA mit dem Experimentieren mit Samplings.Von
George Gershwin über Elvis Presley, Lohn Lennon, Dagmar
Krause und The Fall wurde alles mögliche verwurstet.
Auch personelle Veränderungen standen an: das nun
achtköpfige Ensemble setzt sich zusammen aus: Alice,
Lou, Boff, Danbert Nobacon (g, voc), Dunston Bruce (voc,
perc), Darren Hammer (dr, perc), Mavis Dillon (brass) und
Paul Greco (b).
Das nächste Album sollte "Jesus H. Christ"
heißen, erschien aber nie (zumindest offiziell), weil
CHUMBAWAMBA darauf aus Rock und Pop klauten, was das Zeug
hielt. Ihre Cover-Versionen von Songs von FREE ("All
Right Now"), Kylie Minogue ("I Should Be So
Lucky"), THE ROLLING STONES ("Hey You Get Off
My Cloud"), LED ZEPPELIN ("Stairway To
Heaven"), ABBA ("Money, Money, Mony") u.
a. wurden verboten, weil die Verlage die Songs nicht
freigaben oder utopisch hohe Honorare verlangten.
Konsequenterweise behandelte das 1992er Album
"Shhh" das Thema Zensur. CHUMBAWAMBA zeigen mit
den hübschen Melodien von "Shhh", daß
Popmusik immer ein Prozeß von Geld und Macht und auch
Diebstahl, Ideenklau ist.
1993 wechselten CHUMBAWAMBA zum Label "One Little
Indian", das auch Björk, SKUNK ANANSIE und THE
SHAMEN unter Vertrag hatte. Den Besitzer Derek Birkett
kannten sie noch aus ihren frühen Punkzeiten, als er
Bassist bei "Flux Of Pink Indians" war.
CHUMBAWAMBA sahen sich mittlerweile außerstande ihr
Banddasein und die Labelarbeit zu vereinbaren. Sie
wollten keine Geschäftsleute sein. Die erste
Veröffentlichung auf "One Little Indian" war
eine gemeinsame antifaschistische Single mit CREDIT TO
THE NATION. Mit "Enough Is Enough," landeten
CHUMBAWAMBA ihren ersten Indie-Hit. Spätestens jedoch
seit ihrem Erfogshit "Timebomb" aus dem Jahr
1993 kennt man CHUMBAWAMBA und den für sie so typischen
Klang. Die Single erreichte in den britischen wie auch
den amerikanischen Charts die Top 10.
Auch die 1994er LP "Anarchy" war ein Erfolg,
obwohl das Album von vielen Plattenläden boykottiert
wurde. Der Grund: das Cover - ein Baby beim blutigen
Geburtsvorgang im Kreißsaal - sei pornographisch. In
vielen Plattenläden wurde der Tonträger nur in
Sichtschutz-Hülle eingetütet verkauft. Da mag man sich
heute angesichts der Benetton-Werbung wundern. Dennoch
enterte das Album die Top 30 der GB-Chart.
1995 stieg Trompeter Mavis Dillon aus und wurde durch
Jude Abbott ersetzt. Die Live-LP "Showbusiness"
erschien, gefolgt von "Swingin' With Raymond",
einem Konzept-Album. Die eine Häfte der Lieder
beschäftigt sich mit der Liebe, sind melodisch und
hübsch. Die andere Hälfte sind dem Haß gewidmet und
präsentieren sich als einige der schmutzigsten
Noise-Songs, die man sich vorstellen kann.
Bis zu der Zusammenarbeit mit "One Little
Indian" hatten CHUMBAWAMBA in gewisser Weise
außerhalb der Musikindustrie gestanden. Das Arbeiten mit
einem etablierten Label machte der Band klar, daß es
naiv war anzunehmen, eine alte Freundschaft sei die beste
Grundlage für eine gute Zusammenarbeit. Bei "One
Little Indian" war man nicht besonders glücklich
über die Richtung, die CHUMBAWAMBA für ihr neues Album,
den Prototyp für "Tubthumper", eingeschlagen
hatten. So baten CHUMBAWAMBA "OLI" im Dezember
1996 aus dem Vertrag aussteigen zu können.
1997 unterschrieben sie bei EMI für Europa und Universal
Records für die Staaten.
Im September erschien das Album "Tubthumper".
Auch außermusikalische Aktionen sorgten 1997 für
Schlagzeilen. So reagierten CHUMBAWAMBA empört auf die
bewußt sensationalisitische und heuchlerische
Anti-Drogenkampagne in England. Der Gipfel dieser
Kampagne war ein Poster eines toten Teenagers, das
implizierte, daß jeder der Drogen nimmt, bereits sein
Todesurteil unterschrieben hat. CHUMBAWAMBAs Antwort war
eine analoge Posterkampagne, allerdings mit dem Konterfei
der Band.
Im Herbst 1997 gingen CHUMBAWAMBA auf Europa-Tournee
wobei sie am 19.11. auch in Stuttgart beim SDR3 Club
gastierten. Danach tourten sie durch Nordamerika.
Auch 1998 sorgte die Band für Kontroversen: Danbert
Nobacon schüttete dem stellvertretenden britischen
Premierminister John Prescott bei der Verleihung der
Brit-Awards am 9. Februar 1998 einen Kübel Eiswasser
über. Grund sei seine Verärgerung über die
Sozialpolitik der Labour-Regierung. "Wenn du am
unteren Ende der Leiter bist, bekommst du ganz schön
eins reingewürgt." Bei ihrem Live-Auftritt zur
Eröffnung der Brit-Awards hatten CHUMBAWAMBA den Text
ihres Hits "Tubthumping" entsprechend
geändert: "New Labour sold out the dockers/Just
like they'll sell out the rest of us."
Alice Nutter, die sich übrigens den Namen einer Hexe aus
dem 17. Jahrhundert gab, forderte Fans zum stehlen der
neuen CHUMBAWAMBA CD auf, falls sie sie sich nicht
leisten könnten. Am besten in allen größeren
Plattenläden und Ketten, da gäbe es keine solchen
moralischen Dilemma, wie bei den kleinen Läden. Falls
man erwischt werden sollten, solle man den
Kaufhausdetektiv ruhig auf die volle Unterstützung der
Band hinweisen.
Pünktlich zur Fußball-WM 1998 in Frankreich erschien
die neue Single "Top Of The World (Olé, Olé,
Olé").
Im November 1998 erscheint "Uneasy Listening".
Das Album enthält 20 ausgewählte Aufnahmen aus der Zeit
von 1986 bis heute, die den musikalischen Werdegang und
die unterschiedlichen Stile der Band während dieser
Jahre dokumentieren sollen.
Von der frühesten Aufnahme "In A Nutshell" aus
dem Album "Pictures of Starving Children Sell
Records" reicht die Palette über die Single
"Enough Is Enough" mit CREDIT TO THE NATION bis
zum Chart-Hit "Tubthumping". Ein 16seitiges
Booklet liefert zu jedem einzelnen Song umfassende
Informationen. Die CD ist auch als Doppel-CD gekoppelt
mit dem Album "Tubthumper" erhältlich.
Äußerst sehenswert und informativ ist auch die sehr
umfangreiche und intensiv gepflegte Web-Site der Band.
CHUMBAWAMBAs geniale Kunst ist die Fähigkeit, über
politische und gesellschaftlich brisante oder gar
Tabu-Themen Songs zu machen und sie so darzubieten, daß
sie zu unserer formatierten Radiolandschaft unbedingt
kompatibel sind, hört man nicht genau auf den Text.
Liebliche Frauenstimmen, eingängige Melodien, perfekte
Arrangements sowie die Aufnahme aktueller Stile aus dem
Dance-Bereich sind das musikalische Handwerkszeug, mit
dem auch die Hörer seichter Pop-Musik erreicht werden
können. Die Texte können gerne als Denkanstöße
verstanden werden.
Diskografie:
"Pictures of Starving Children
Sell Records" (1986), Agitprop
"Never Mind The Ballots - Here's The Rest Of Your
Life" (1987), Agitprop
"English Rebel Songs 1381-1914" (1988),
Agitprop (reissued 1995, OLI)
"Slap" (1990), Agitprop (reissued 1995, OLI)
"First 2 Lps" (1992), Agitprop (ein Rerelease
der beiden ersten Alben)
"Shhh" (1992), Agitprop" (reissued 1992,
Southern)
"Anarchy" (1994), OLI
"Showbusiness!" (1995), OLI
"Swinging with Raymond" (1995), OLI
"Pictures Of Anarchists", Picture Book und CD
(1996), OLI
"Tubthumper" (1997), EMI
"Uneasy Listening", Compilation (1998), EMI
"Uneasy Listening/Tubthumper", Compilation
(1998), EMI
mit CREDIT TO THE NATION:
"Enough Is Enough", 12inch (1993), OLI
Best Of/Hitlist:
"Timebomb" (1993)
"Tubthumping" (1997)
"Amnesia" (1998)
"Top Of The World (Olé, Olé, Olé") (1998)
Internet: http://www.chumba.com
(Pia Ambrosch)
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